Jens Schumacher, Leiter des Forschungszentrums Business Informatics, im Gespräch 

 

(Ausgabe 3 / 2023) Forschungsprofessor Jens Schumacher gibt Einblick in die spannende Entwicklung und die vielfältigen Kompetenzen des von ihm seit 2020 geleiteten Forschungszentrums Business Informatics

Jens, magst du uns sagen, wie es dazu gekommen ist, dass du Leiter des Forschungszentrums Business Informatics geworden bist?

Seit 2018 leitete ich das Forschungszentrum PPE (Produkt- und Prozess Engineering) interimistisch. Kurz nach der COVID-Krise 2022 wurde ich dann zum Leiter bestellt, und es kam die Frage auf: lässt man das Forschungszentrum so, wie es ist, oder strukturieren wir es neu. 

Mathematik, Informatik und Wirtschaft sind unsere wissenschaftlichen Eckpfeiler – das Dreieck fand ich gut, aber doch sehr unspezifisch. Eine tiefgehende Analyse der Ressourcen, Projekte und Kompetenzen unserer Mitarbeitenden zeigte, dass wir alle unsere Forschung im Umkreis der Wirtschaftsinformatik lokalisieren, und so wurde aus dem Forschungszentrum PPE das Forschungszentrum Business Informatics. 

Uns interessieren speziell neue Technologien und deren Analyse in einem wirtschaftlichen sowie unternehmerischen Kontext: Wir entwickeln zum Beispiel keine Basistechnologien wie z.B. Large Language Models (ChatGPT) oder betreiben Grundlagenforschung. Vielmehr schauen wir uns an, wie Technologie die Wirtschaft beeinflusst. 

Dein Team ist sehr erfolgreich…

Wir prüfen Technologien auf ihre Einsetzbarkeit hin und überlegen entlang von fünf Kriterien, wie sie optimiert werden können. Wir versuchen in unseren Forschungsprojekten eine möglichst ganzheitliche Sichtweise einzunehmen: Unsere Quintupel-Helix umfasst Forschung, Industrie, Politik (insb. politische Instrumente), Gesellschaft (insbes. Auswirkungen auf Bürger:innen) und Umwelt. 

Die genaue Fragestellung ergibt sich immer aus dem Technologieeinsatz. Wir reden gern von Extended Enterprise und Exended Product: Wie sieht das Unternehmen der Zukunft aus, und wie sieht das Produkt der Zukunft aus? Oft wird nur auf den Point of Sale geschaut – wir blicken weiter, jetzt gerade mit den Trends hin zur Circular Economy und dem Right To Repair. Im Horizon Europe Projekt JIDEP (Joint Industrial Data Exchange Platform) geht es beispielsweise um das Recyclen von Verbundsmaterialien – jedes Produkt bekommt einen Materialpass. 

Wir haben Projekte mit regionalen Partner:innen, mit Hirschmann, Zumtobel, Gebrüder Weiss, aber auch mit der Stadt Dornbirn oder der Gemeinde Doren. Unsere Konsortialprojekte finden überwiegend im EU-Kontext statt. 

Was waren deine Beweggründe, die Stelle hier in Vorarlberg anzunehmen? Was ist aus deiner Sicht das Besondere an der FHV-Forschung?

Ich habe 2005 als einer der ersten Forschungsprofessoren an der FHV angefangen. Davor war ich Abteilungsleiter am BIBA (Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH). Schon damals hat es mich interessiert, neue Technologie auf komplexe betriebswirtschaftliche Prozesse anzuwenden. 

Für mich ist der Konnex zur Lehre sehr wichtig: Seit 2018 bin ich wissenschaftlicher Leiter des Studienprogramms Innovation und Produktmanagement MSc in Schloss Hofen. Zudem leite ich den Studienschwerpunkt Digitale Transformation innerhalb des Bachelorstudiengangs Internationale Betriebswirtschaft. Von Haus aus bin ich ja Informatiker, insofern war das eine spannende Entwicklung in Richtung Wirtschaft. 

Welche Rahmenbedingungen braucht es für erfolgreiche Forschung – anders formuliert: Was sind die Erfolgsfaktoren für anwendungsorientierte Forschung in diesem Bereich?

Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist unsere ganzheitliche Sichtweise. Wir sind ein extrem interdisziplinäres Team. Interdisziplinarität und die interkulturelle Zusammensetzung im Team sind unsere große Stärke. Das sind dann auch die Skills, die wir brauchen, um im Spannungsfeld von regionaler Industrie und Internationalität in der Forschung bestehen zu können. 

Wir brauchen wenig technische Ausstattung – außer unseren Rechnern. Unser Alleinstellungsmerkmal sind unsere guten Ideen: Die Konzepte, die wir erstellen, sind überzeugend. 

Wie sieht die Zukunft der Disziplinen aus, die das Forschungszentrum Business Informatics bündelt? Welche Trends beobachtest du?

Digitale Transformation, künstliche Intelligenz: Der erste akademische Kongress zu KI war 1956. Was wir zu erkennen versuchen: wann ist der richtige Moment, um eine neue Technologie in der Industrie erfolgreich einzusetzen? Es geht heute nicht mehr um den Pioneer Bonus, also die Ersten am Markt zu sein, sondern darum, den Moment der Early Majority abzupassen.

Neue Trends sind KI, Industrie 5.0 sowie Logistik 4.0.

Zusammen mit Gebrüder Weiss untersuchen wir beispielsweise, welche Auswirkung Logistik 4.0 auf Unternehmen haben kann: Wie können innovative Kollaborationen im Logistiksektor aussehen, und wie sehen innovative Geschäftsmodelle in diesem Sektor aus? 

Die meisten Ideen werden derzeit davon aufgehalten, dass das nötige offene Mindset noch nicht da ist und nachhaltige Geschäftsmodelle fehlen. Man kann das den Unternehmen nicht zum Vorwurf machen: Die bestehenden Systeme sind in einem extrem kompetitiven Kontext entstanden und ein Wandel hin zu neuen Kooperationsmodellen ist schwierig.

Abschließend, warum begeistern sich junge Wissenschaftler:innen für die Mitarbeit in eurem Forschungszentrum?

Wir wollen immer auch unsere Mitarbeiter:innen im akademischen Bereich weiterqualifizieren: Wir unterstützen bei Masterarbeits- und  Doktoratsvorhaben. Man sollte Spaß an komplexen Fragestellungen haben, sollte die Neugier auf zukünftige Entwicklungen mitbringen – und: Wir arbeiten immer international mit anderen Forschungseinrichtungen zusammen, man ist nie allein unterwegs. 

Ein ganzheitlicher Denkprozess im Team zeichnet uns aus. Wir haben Hochschullehrende, die forschen, Postdocs, die forschen und die zudem unsere wissenschaftlichen Mitarbeitenden in Richtung Doktorat unterstützen. 

Wenn man an die FHV kommt, ist das ein Bekenntnis zum lebenslangen Lernen. 

 

 

Zur Person: 

Jens Schumacher, 56 Jahre, kommt ursprünglich aus Bremen. Er ist Diplom-Informatiker und hat in Produktionstechnik promoviert. Seit 2005 ist er als Forschungsprofessor an der FHV. Er leitet das Forschungszentrum Business Informatik, ist Dozent im Studiengang International Betriebswirtschaft und seit 2018 wissenschaftlicher Leiter des Studiengangs Innovations- und Prozessmanagement (Schloss Hofen). Sein Forschungsschwerpunkt ist Extended Enterprise and Products. Darüber hinaus ist Jens Fluglehrer für Sicht- und Instrumentenflug. 


Forschungszentrum Business Informatics, FHV

Kontakt

Prof. (FH) Dr.-Ing. Jens SCHUMACHER
Leiter Forschungszentrum Business Informatics, Hochschullehrer
V608

Juli 2023